Der Reizdarm und das Overlap-Phänomen

expert talk mit Professor Dr. med. Martin Storr

Prof. Dr. med. Martin Storr
Prof. Dr. med. Martin Storr
Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie (LMU)
München
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Etwa 12 bis 15 Prozent der Menschen hierzulande leiden unter einem Reizdarmsyndrom – doch häufig erschweren Überlappungen (englisch: overlap) der Beschwerden mit anderen Krankheitsbildern die Diagnose. Prof. Dr. Martin Storr praktiziert am Gesundheitszentrum Starnberger See. Im expert talk erklärt der erfahrene Facharzt für Gastroenterologie, was hinter dem sogenannten Overlap-Phänomen steckt, wieso eine ärztliche Diagnostik hier so wichtig ist und welcher Stellenwert einer FODMAP reduzierten Ernährung im Rahmen der Behandlung zukommt.

Was versteht man unter dem Overlap-Phänomen getreideassoziierter Erkrankungen?

Kommen Betroffene in die Sprechstunde, schildern sie zunächst einmal ihre Beschwerden. Oft spüren sie, dass ihnen bestimmte Lebensmittel nicht guttun – und für mich als Arzt passen die beschriebenen Symptome dann vielleicht ins Bild der reizdarmartigen Beschwerden. Dann wird man anhand des spezifischen Beschwerdebildes versuchen, diagnostische Maßnahmen zusammenzustellen, die eine Erklärung für dieses Bild liefern. Es werden Endoskopien durchgeführt, um Entzündungen auszuschließen und Blutuntersuchungen, um Blutbildveränderungen oder Autoimmunerkrankungen zu erkennen. Und am Ende wird eine Diagnose stehen – und oftmals lautet die Diagnose dann Reizdarmsyndrom. Häufig ist dabei allerdings festzustellen, dass zusätzlich zu den allgemeinen Reizdarmbeschwerden, spezifische Lebensmittelgruppen nicht vertragen werden. Betrifft das die Gruppe der getreidehaltigen Lebensmittel, kann zusätzlich zum Reizdarmsyndrom möglicherweise eine Gluten- oder Weizensensitivität vorliegen. Und in so einem Fall hat man einen Overlap aus zwei prinzipiell unterschiedlichen Erkrankungen, die sich aber durch ähnliche Beschwerden zeigen. Und es ist durchaus möglich, dass diese beiden Dinge zeitgleich auftreten: Etwa 12 bis 15 Prozent der Menschen hierzulande leiden unter einem Reizdarmsyndrom – das ist häufig. Häufig sind aber auch gluten- oder weizenabhängige Beschwerden, Schätzungen zufolge betreffen diese 5 Prozent der Bevölkerung. 

Wieso ist die korrekte Abgrenzung durch eine ärztliche Diagnose hier so wichtig? 

Die korrekte Abgrenzung ist hier sehr wichtig, um dem Betroffenen letztendlich Maßnahmen nennen zu können, die ihm helfen – und von Maßnahmen abzuhalten, die ihm nicht helfen. Das klassische Reizdarmssyndrom wird zunächst mit Basismaßnahmen wie Ernährungsumstellung, Entspannungsverfahren und Veränderungen des Lebensstils behandelt. Wenn sich darauf keine adäquate Verbesserung einstellt, dann können auch Medikamente zum Einsatz kommen. Anders ist es bei Beschwerden, die aufgrund von Unverträglichkeiten auftreten. Dazu zählen beispielsweise getreideabhängige Beschwerden, wie die Gluten- oder die Weizensensitivität. Hierfür braucht die Patientin beziehungsweise der Patient dann eine entsprechende Sortierung, welche Lebensmittel zu meiden sind – und welche nicht. Denn viele Menschen neigen dazu, aus Unsicherheit eher zu viel zu meiden. Das mündet in eine Situation, die wir medizinisch als vermeidend-restriktives Ernährungsverhalten bezeichnen. Denn wer nicht genau weiß, was er meiden soll, ernährt sich oft strenger als nötig. Und über diese Strenge rutscht man leicht immer mehr in die Vermeidung hinein. In meiner Sprechstunde habe ich mitunter Menschen sitzen, die nur noch drei oder vier Dinge essen und alles andere weglassen. Das möchte man ärztlicherseits natürlich niemandem zumuten. Darum ist eine spezifische Diagnose, die auch Aufschluss darüber gibt, was eigentlich die bestehenden Beschwerden verursacht, überaus wichtig.

Welche Erkrankungen sollten vor der Diagnose Reizdarm ausgeschlossen werden? 

Ein Reizdarmsyndrom kann ein sehr breites Spektrum an Symptomen hervorrufen – darunter auch recht unspezifische wie Bauchschmerzen, Veränderungen des Stuhls oder Blähungen. Die Leitlinie empfiehlt vor der Diagnosestellung, einige Dinge auszuschließen – aber das sind gar nicht so viele. Darüber hinaus gibt es einige Dinge, bei denen Betroffene und Behandelnde entscheiden können, ob sie im Einzelfall diagnostisch weiter überprüft werden sollen oder sogar müssen. Was aber alle Menschen beim Verdacht auf ein Reizdarmsyndrom sozusagen pauschal bekommen, ist zunächst einmal eine Ärztin oder ein Arzt, der ihnen zuhört. Denn die gründliche Erfassung des individuellen Beschwerdebildes ist die Grundlage einer zielführenden Diagnostik. Dann wird oft eine körperliche Untersuchung vorgenommen, wobei der Bauch abgehört und auf krankhafte Veränderungen geachtet wird. Häufig wird auch gleich eine Ultraschall-Untersuchung des Bauchraums durchgeführt. Dadurch lässt sich das Reizdarmsyndrom zwar nicht direkt diagnostizieren, aber andere Dinge ausschließen – beispielsweise Gallensteine, Veränderungen an der Bauchspeicheldrüse oder Erkrankungen der Leber. Bei weichen Stuhlgängen oder Durchfall, wird außerdem eine medizinische Stuhldiagnostik durchgeführt. Dabei wird der veränderte Stuhl spezifisch auf krankmachende Erreger untersucht. Damit ist die medizinische Stuhl-Diagnostik streng abzugrenzen von einer allgemeinen Untersuchung der Darmflora, wie sie beispielsweise Heilpraktiker vornehmen. Nicht selten wird diesen Untersuchungen dann noch eine Endoskopie angeschlossen. Über eine Darmspiegelung lassen sich Entzündungen des Dünn- und Dickdarms erkennen. Eine Magen- und Zwölffingerdarmspiegelung kann Erkrankungen wie eine Gastritis oder ein Magengeschwür sowie Dünndarm-Erkrankungen wie eine Zöliakie aufdecken. Sind diese Untersuchungen abgeschlossen, dann entscheidet man, ob noch weitere Verdachtsmomente bestehen, bei denen es sich nachzuhaken lohnt. Solche Verdachtsmomente wären zum Beispiel ein ungewollter Gewichtsverlust oder starke begleitende Beschwerden – auch psychischer Natur. Das wären dann Dinge, die eine weitergehende Diagnostik erfordern würden.

Unterscheiden sich die diätetischen Therapien – trotz überlappender Beschwerdebilder? 

Für Menschen mit Reizdarmsyndrom gibt es ganz klare Ernährungsempfehlungen – und auch für gluten- beziehungsweise weizenspezifische Beschwerdebilder gibt es ganz klare Ernährungsempfehlungen. Das gelingt den Betroffenen teilweise sogar noch intuitiv. Bei einem entsprechenden Overlap-Syndrom müssen die jeweiligen Ernährungsempfehlungen dann allerdings in Einklang gebracht werden. Und um zwei verschiedene Ernährungskonzepte zusammenzubringen, ist eine Ernährungsberatung sinnvoll.

Das Reizdarmsyndrom wird ernährungstherapeutisch in verschiedensten Stufen behandelt. Die erste Stufe ist der pragmatische Ansatz mit der Empfehlung, Dinge zu meiden, von denen wir wissen, dass Sie generell ungünstig sind. Dazu zählen beispielsweise Kaffee, Alkohol, kohlensäurehaltige Limonaden oder Fruchtsäfte in hoher Menge. Außerdem sollen Dinge gemieden werden, die im individuellen Fall als Beschwerdeauslöser bekannt sind. Wenn das nicht ausreicht, wird man die Ernährungstherapie stufenweise weiter aufbauen. Hierbei käme dann auch ein Ernährungs- und Symptom-Tagebuch zum Einsatz, um bestimmte Muster aufzudecken. Schlussendlich würde das Ganze in eine low-FODMAP Diät münden. Das ist eine klinisch erprobte Reizdarm-Diät, die für viele Betroffene sehr gut durchführbar und sinnvoll ist. Wenn ich im Sinne eines Overlap-Phänomens zusätzlich zum Reizdarmsyndrom noch Beschwerden in Richtung einer Glutensensitivität habe, dann müsste ich meine Ernährungstherapie natürlich entsprechend erweitern. Im Prinzip hätte ich dann die Empfehlung, mich FODMAP-arm zu ernähren und zusätzlich glutenhaltige Lebensmittel einzuschränken. Meiner Erfahrung nach, können die meisten Menschen das aber sehr gut umsetzen. 

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